Dienstag, 10. August 2010

Ride & River: Von Sorata nach Rurrenabaque

Grundsätzlich sollte es mir an Zitatmaterial nicht fehlen... Ich habe immerhin in der letzten Woche drei Bücher fertig gelesen und ein viertes angefangen.

Das Problem ist nur, dass das erste Buch ein James Bond war (von dem man vielleicht höchstens seine Kommentare zu "Frauen am Steuer" publizieren könnte - was mich aber auch meine unzähligen weiblichen Blogleserinnen kosten würde)...

...vom zweiten Buch kommt das tatsächliche Zitat...

...das dritte Buch ist ein typisch holländischer Roman („De Weduwnaar“ von Kluun) über einen Mittdreissiger, der seine Frau durch Krebs verloren hat und seine Sorgen und Probleme wegfickt. Es gibt viele lustige Sätze (à la „ich war abwesender, als Liam Gallagher bei einem Oasis Konzert“) aber nichts Zitierwürdiges.

Das mässig hochstehende und nicht sehr befriedigende Zitat heisst also:

„Psychiater helfen den Menschen nicht, sich zu ändern. Sie helfen ihnen, sich damit abzufinden, dass sie gleich bleiben.“ Martin Suter in „Die dunkle Seite des Mondes“

Andere mögliche Kandidaten wären gewesen: „I discovered to my joy, that it is life, not death, that has no limits.“ (grottenschlechte Verfilmung von Gabriel Garcia Marquez' „Love in Times of Cholera... zu kitschig); und „Another life saved by girl-on-girl action“ (Dr. House... im Kontext super lustig).

Hiermit habe ich auch meine ganzen Zitatreserven der nächsten paar Blogs verpulvert. Darum nun die Geschichte:

Ich nahm einen überfüllten Micro von La Paz nach Sorata, eine kleine Stadt, die etwa drei holprige Stunden entfernt ist.

Ich checkte im Hostal las Piedras ein (gute Wahl) und hoffte, von hier aus den Ride & River Trip von Sorata nach Rurrenabaque organisieren zu können.

Dieser Herr General wurde in Sorata geboren und ist einer der mehr als hundert Präsidenten, welche Bolivien in den 200 Jahren der Unabhängigkeit führen durften. Präsident sein bedeutete eine tiefe Lebenserwartung...

Nicht nur mir fiel die nicht geringe Ähnlichkeit des Herrn Generals mit Hitler auf. Er war übrigens (glaub ich) auch von 1940 bis 1943 Präsident. Nicht nur Butch Cassidy und the Sundance Kid sind bekannterweise nach Bolivien geflüchtet... ziemlich viele Nazis sollen dies auch getan haben.
Regen Regen Regen... ich kannte es schon gar nicht mehr. Ich war also zu Nichtstun gezwungen.

Zum Glück klarte es am dritten Tag auf und ich konnte mit Travis, dem Besitzer von Andean Epics, Tom (ein Schulabwart aus den U.S. of A., dessen Tochter in La Paz lebt) und Fahrer Felix, den Sorata Singletrack machen.

Hier das Massiv des Illampú (6368 Meter)
Vom Chuchu Pass (4800 Meter) geht's runter nach Sorata (2678 Meter). 2000 Meter Höhendifferenz in knapp drei Stunden, dass muss man in Europa erst einmal finden!
Zum ersten Mal trat ich auch in Kontakt mit der fahrenden Disco Felix. In seinem Toyota funktioniert nämlich genau eine CD... und die spielt die hier unvermeidbaren Hits der 80er in einem am Anfang noch ziemlich lustigen Mix.

Von Milli Vanilli („Girl you know its true, uh uh uuuuh, I love youuhhuu!“), über Major Tom bis zu einem Modern Talking Hit-Medley (ich kann ja schon das Wort Medley nicht ausstehen, wenn dann noch Modern Talking davor steht, wirds ganz schlimm).

Mit „Brother Louie“ im Kopf gings den Berg runter.

Wieder der Illampú Alejandro, der auch Führer auf der Ride & River Tour sein sollte, zeigt, wie man es nicht macht. Ein Teil seines Zahns ist schon an diesem Hang begraben... fast wären noch weitere Teile seines Gebisses der Pachamama geopfert worden.
Experte Travis zeigt, wie man es macht. Krasser Typ.
Leider gibt es von mir auch dieses Mal keine guten Fotos...
...vor allem der zweite Teil durch den Zwergwald (Ralleyfeeling!) und über die Grasflächen mit Sprüngen und Halfpipes (Alles fahrt Ski!) waren genial.
Ein Nebelmeer wie in der Schweiz im Winter
Travis und Alejandro in der Alpenbuckeltechnik
Ein Schweizer soll nämlich einmal gesagt haben: "In di alps wi du it laik dis!" Und seither tut es Travis auch "laik dis"...

Sorata
Downhill ist wirklich genial. Ich habe definitiv einen neuen Sport für mich entdeckt.
Nach dem ich in den drei (oder warens vier?) Tagen schon ziemlich viel Zeit totgeschlagen und in einer Ecke gestapelt hatte, ging es endlich los! Die Vorzeichen waren zwar, nach einer weiteren Magenentleerattacke, nicht allzu gut, aber die Musik in Felix' Auto ("Last train to London... but I really want this night to last foreeever" Disco! Yeah!) stellte mich wieder auf... oder etwa nicht? Die Gruppe in der Nähe des Chuchu Passes auf 4800 Metern. Von hier aus sollte es zwei Tage mit dem Velo bis nach Mapiri gehen und dann von dort aus mit einem motorisierten Kanu drei Tage lang nach Rurrenabaque.

In der Gruppe waren eine eher fehl platzierte dänische Familie (Onkel Henning, Tante Änni, Sine und Jakob), eine irisch-belgische Familie mit britischem Pass (Vater Patrick, Mutter Isabelle und die Söhne Sebastien und Collum) und dann noch zwei Holländerinnen (Hannah und Annemarth).
An Goldminen und einigen ziemlich gemeinen und Steine schmeissenden Kindermeute vorbei geht es stetig nach unten.
Am ersten Tag macht man 80 Kilometer Distanz und 3800 Meter Höhendifferenz.
Führer Alejandro, Annemarth, Hannah (verdeckt), Collum und Sebastien warten auf die Nachzügler
Jetzt weiss ich auch, wieso auf allen Toyotas hier "Toyosa" steht: Copyright! Die Importfirma darf sich nicht Toyota nennen.
Langsam geht in den ziemlich kalten Nebel hinein
Wir übernachteten im Dorf Conzata in einem rustikalen Hotel. Im Dorf hatten schon die Prä-Feierlichkeiten zum morgigen Nationalfeiertag begonnen.

Leider stellte sich das Fest als ziemlich schlecht organisierte Schulfeier heraus. Kinder mussten Gedichte rezitieren (alles sehr kitschig und patriotisch... da ist die Schweizer Nationalhymne qua Pathos nichts dagegen), durften schlecht singen, konnten ziemlich gut tanzen und hätten mit ihren Fahnen stillstehen sollen.

Aber auch der Rektor zeigte wenig Disziplin und hielt eine in Alkohol genetzte Rede. Dafür bekam das Publikum alle paar Minuten einen Shot von einem Schnaps mit Milch... Wenigstens das sorgte für gute Stimmung.

Von Conzata ging es am nächsten Tag weiter nach unten.

Der Jeep hat deutlich schon viel erlebt. Beim Fahren fällt manchmal die Fahrertüre raus, so dass Fahrer Froilan durch das Fenster einsteigen muss. Ein neuer Landrover wäre ja eigentlich schon unterwegs, aber durch die Blockierung von Potosí hat dieser es bis jetzt noch nicht bis nach Sorata geschafft.
Unsere beiden Küken: Hannah und Annemarth im fluoreszenten Bikeroutfit. Oranje boven!
Langsam geht es runter in die Yungas und die in Region des Regenwaldes. Aus Lehmhütten werden Holzhütten... und auch wirklich jede Hütte hat am Nationalfeiertag eine bolivianische Fahne auf dem Dach.
Da konnten wir mit unserem Jeep natürlich nicht abseitsstehen.
Mein Velo Langsam geht es runter zum Fluss (wenn ich nur noch wüsste, wie der heisst) und Richtung Mapiri. Das ganze Gebiet lebt von den Goldminen, was leider die Natur und vor allem die Flüsse ziemlich in Mitleidenschaft zieht. Vor allem weil Quecksilber gebraucht wird, um das Gold zu binden.

Beim Mittagessen gingen wir zum ersten Mal in einem Nebenfluss schwimmen. Genial!

Und bei jeder längeren Pause gibts eine Dosis 80er ("Eye of the tiiiiigeeer")... während wir schon den ganzen Tag Brother Louie im Kopf haben.
Am Abend kamen wir dann in Mapiri an.

Die Kinder bekommen beinahe einen Herzinfarkt, wenn man hier an einem Haus vorbei fährt. Völlig hysterisch beginnen sie "Gringo Gringo!" zu schreien, als ob wir gerade aus dem UFO von Roswell ausgestiegen wären. Ich begann dann einfach auch, völlig übertrieben "Gringo!" zu schreien, was einen ziemlich lustigen Effekt hatte.

Nach dem Abendessen gingen Führer Ben (von dem ich leider kein Foto habe), Fahrer Froilan (der durch den Alkohol plötzlich alle bolivianischen Hemmungen verlor, am nächsten Morgen aber wieder "his own good old bolivian self" war), die beiden Holländerinnen und ich zum Festgelände des Nationalfeiertages. Wir stiegen aus unserem UFO aus, setzten uns an einen Tisch am Rand und bestellten zum Anfang mal ein paar Bier...

Ich muss sagen, dass dieses Fest meine kulturelle bolivianische Erfahrung Nummer 1 war. Es gibt wohl in keinem anderem Land so viele Feste wie in Bolivien... und wie Skandinavier brauchen die Bolivianer den Alkohol, ein ein wenig aus sich raus zu kommen. Dies hat zur Folge, dass man eine ganz neue Seite der Leute kennenlernt... und andere bestätigt werden. Zum Beispiel, dass Bolivianer eine konstant schwache Blase haben und immer und überall zu urinieren scheinen. Ich würde mein Auto jedenfalls nicht neben das Festgelände stellen.

Ausserdem sind Feste hier Family Affair: Hier wird gesoffen und die Kinder sitzen daneben und schauen wie die Eltern immer peinlicher und spitzer werden (vor allem, wenn zwei blonde Holländerinnen neben Papa sitzen)... ausserdem können die bolivianischen Frauen ohne Problem gleichzeitig ihr Kind säugen und ein Bier stemmen. Das haben Schweizer Frauen leider schon lange verlernt.

Der mit Abstand lustigste Moment war aber, als die Cumbia Band plötzlich "Brother Louie" in einer spanischen Version anstimmte. Wir fielen fast von unseren Stühlen vor Lachen.

Am nächsten Tag, leicht verkatert, ging es mit dem Boot weiter.

Zwei Flüsse kommen zusammen.

Ich konnte leider erst im Dorf Guanay ins Boot einsteigen, da der Fluss wegen der Trockenzeit ziemlich tief ist. Am Abend, nach 4 Stunden Jeep und einer Stunde im Kanu, kamen wir bei unserem Campingplatz an.
Wanderung hoch auf den Aussichtspunkt oberhalb unseres Campings. Vertigo!
Der Campingplatz
Danach: Bad im Fluss. Sebastien springt, Collum schaut zu.
Die Gruppe am Feuer. Mit etwas Mühe kann man Isabelle, Hannah, Collum, Sebastien, Annemarth, Henning, Patrick, Sine und Jakob identifizieren.
Am nächsten Morgen ging es hoch zu einem Wasserfall. Im Garten des Besitzers des Gebietes hat es Ananas... ...und Pfeffer.
Ich war meistens fast der einzige, der euphorisch wurde, wenn sie jeweils fragten, wer baden wolle. Finde das irgendwie schwer zu verstehen. Das Klima ist ziemlich heiss, man schwitzt, stinkt nach Mückenmittel und Sonnencrème... und läuft an einem kristallin klaren Wasserfall vorbei. Wie kann man da nicht rein springen wollen?
Das wäre dann der Wasserfall. Super, nicht?
Stopp in einem kleinen Dorf, um Benzin zu kaufen. Da Treibstoff hier subventioniert wird (warum auch der Transport so billig ist), ist es in Bolivien ein konstantes Problem, seinen Tank zu füllen. Das Klima wurde immer heisser.

Das Boot
Am Fluss entlang wird nach Gold gesucht. Die Goldschürfer fischen pro Tag etwa 2 bis 3 Gramm Gold aus dem Fluss, mit einem Wert von etwa 50 Dollar. Viel Geld in Bolivien, aber auch ein harter Job.
An diesem Nachmittag erreichten wir das Gebiet des Parque Nacional Madidi (linke Flussseite) und der Reserva de la Biosférica Pilón Lajas (rechte Flussseite).
Wenn einen diese Riesenameise beisst, hat man anscheinend bis zu zwei Stunden höllische Schmerzen. "Lustigerweise" fand ich mitten in der Nacht eine dieser Ameisen neben meinem Schlafsack... sie sind wirklich enorm gross und nicht totzukriegen. Vor allem wenn um 4 Uhr morgens das Visier noch nicht so gut eingestellt ist.
Seïn oder Saïn (oder irgendetwas Ähnliches) ist der Besitzer unseres Bootes. Er hat den Trip von Sorata nach Rurrenabaque zusammen mit Travis kreiert. Als Kind hat er auf der Strasse Palmfächer verkauft. War beeindruckend, wie er in 5 Minuten aus einem Palmenblatt einen ziemlich komplizierten Fächer bastelte.
Termiten
Spikes
Hier wird gewürgt
Hannah und Annemarth
Nach einer weiteren unglaublich coolen Badesession (ich und Collum badeten, die anderen schauten zu) kamen wir an unserem nächsten Campingplatz an. Gemütlich.
Bei einigen Leuten unserer Gruppe frage ich mich wirklich, warum sie diesen Trip gebucht haben: Sie wollten kaum Velo fahren, sie kamen nicht mit auf die Wanderungen, sie wollten am Anfang nicht auf das Boot, sie gingen kein einziges Mal schwimmen, sie beklagten sich über die harten Matten im Zelt...

Der nächste Morgen Nebel
Ein paar Minuten im Boot, dann eine letzte Wanderung.Noch mehr Morgennebel.
Auf diese Wanderung kam auch wirklich (zum ersten Mal) die komplette Gruppe mit. Bienennest. Angeblich wird der ganze hohle Stamm mit Honig gefüllt und die einzige Weise, um an den Honig heranzukommen, ist, den Baum zu fällen.
Hannah springt. Dahinter Jakob, Collum, Isabelle, Sebastien, Patrick, Sine und die erschöpften Änni und Henning...
Nach ein paar weiteren Stunden kamen wir an unserem Ziel an.

Rurrenabaque ist ein nichtssagendes bolivianisches Dorf, das vor zehn Jahren durch den Tourismus entdeckt wurde und noch immer etwas überrascht auf dem Gringotrail herumirrt.

Der Tourismus hat hier deutlich negative Auswirkungen. Zum Beispiel hört man hier von ziemlich erschreckenden Dingen, welche mit den Tieren auf den Touren in den Dschungel oder in die Pampas gemacht werden. Ich entschied mich darum, keine Tour zu machen.

Ich checkte ins Hostal El Curichal ein. Im Lonely Planet mit einem "our pick" versehen... was aber nicht viel heisst, wie einige gespenstische Erlebnisse in Costa Rica zeigten.

Der Besitzer wäre jedenfalls in einer Kaserne besser aufgehoben, als in seinem Hostal... und die drei kindischen Party-Backpacker in meinem Zimmer besser in einem Kinderhort (Zitat: "Bad boyz for life, mothafuckaaaa"). Ausserdem zockte der Besitzer mich noch ab, als ich Geld wechseln musste, um sein Hostal zu bezahlen. Er hat nach Tageszeit flexible Tarife, je nach Not seiner Gäste.

Wegen dieser ungemütlichen Atmosphäre, hielt ich mich grösstenteils in dem Café Pachamama auf. Hier hatte ich, neben der coolen englischen Wirtin, auch sehr nette Begleitung: Gulasch (oder wie auch immer man das schreibt).
Mit der Fluggesellschaft der bolivianischen Luftwaffe TAM (Transporte Aéreo Militar) gings am nächsten Tag von Rurrenabaque zurück nach La Paz.

Jemand sollte anfangen, eine Fotoserie von Flughäfen an abgelegenen Orten der Welt zu machen. Von Lommis, über Bahía Solano, bis Rurrenabaque... alles faszinierende Orte.

Die "Pilot Bar"

Terminal A mit dem Shuttlebus
Der Warteraum bei Gate 1
Ich musste kein einziges Mal ein Identitätsdokument zeigen, die Taschen nie kontolliert und ein Passagier nahm die Pfeile mit ins Flugzeug, welche er im Dschungel gekauft hatte...

Der Tower
Wenigstens sieht das Flugzeug auf den ersten Blick einigermassen okay aus... war dann aber von Innen nicht mehr über alle Zweifel erhaben...
Nach einem ziemlich rumpligen Flug bin ich nun also wieder einmal in La Paz. Die Blockierung des südlichen Teils des Landes, Potosí soll total von den Aussenwelt abgeschlossen sein, nahm mir die Entscheidung ab, ob ich durch Bolivien weiter nach Süden gehen soll, oder direkt nach Chile.

Morgen fahre ich darum mit dem Bus nach Arica an die chilenische Küste. Freue mich auf ein neues Land (auch wenn die Chilenen ziemlich schwer zu verstehen sein werden), neue Erlebnisse und Begegnungen der dritten Art.

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